Ein Jahr

[248] An X..


Ich sah dich zuerst im Januar

Und grüßte zuerst dich im Februar;

Doch um die Mitte des Märzen,

Da fühlte ich Lieb im Herzen.


Und schlich vor deine Türe still

Wohl in den Nächten des April;

Erst in der Blüte des Maien,

Da täte ich um dich freien.


Und gab dir, ach, so manchen Kuß

Im holden Monat Junius;

Und beide fühlten wir heiß Verlangen,

Als drauf der Juli kam gegangen.


Der Juli kam; und im August

Schwelgten wir selig Brust an Brust;

Im September tät ich dich entführen;

Im Oktober ließen wir kopulieren


Und wälzten uns im Novembrium

Als Eheleute im Bett herum –

Jetzt ist es Dezember, die Wolken schneien,

Die Raben krächzen, die Kater schreien.
[248]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 248-249,261.
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