16. An Luther

[243] 4. März 1777.


Entschwebe, wie ein goldner Duft,

Mann Gottes, deiner stillen Gruft,

Und schaure Graun durch ihr Gebein,

Die deine stille Gruft entweihn!
[243]

Ermattet von dem Drachenkampf

Mit Priestern in der Höllen Dampf,

Sogst du an Katharinens Brust

Dir junge Kraft und Heldenlust.


Sie tränkte dich mit Rebentrank;

Und freudig tönte dein Gesang:

»Dem Papst und allen Teufeln Spott!

Ein' feste Burg ist unser Gott!«


Da zischelt nun die Afterbrut:

»Weh, Brüder, weh! wir sind sein Blut!

Schleicht rücklings hin zu seiner Ruh,

Und deckt die Scham des Vaters zu!«


Ihr Männer Deutschlands, kühn und frei

Durch ihn von Pfaffentyrannei!

Ihr laßt mit lästerndem Gestöhn

Die Heuchler Luthers Asche schmähn?


Wer ist, der nicht beim Kraftgesang

Des Weisen auf zu Thaten sprang,

Dem nicht die Seele sonnenhoch,

Ein Adler mit dem Adler, flog?


Wem schafft nicht Gottes edler Wein

Aus Donnerwolken Sonnenschein,

Und reißt der Lebensgeister Tanz

Zum Tugendkampf und Siegeskranz?


Was labt den Frommen in der Zeit

Mit Ahndung höhrer Seligkeit,

Als Mädchenblick und Mädchenkuß,

Des Weibes heiliger Genuß?


Schweig, Gleißner, dich befrag' ich nicht!

Dir bleibt dies ewig ein Gedicht,

Wie dem, der Lastern Lieder zollt,

Dem Hurer, und dem Trunkenbold!
[244]

Doch jeder Christ und gute Mann

Stimmt laut mit dir, o Vater, an:

»Wer nicht liebt Weib, Wein und Gesang,

Der bleibt ein Narr sein Lebelang!«


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 243-245.
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