Auf die Leiche eines Kindes

[310] Freund der Herzen,

Sieh die Schmerzen,

Die am Grabe bluten.

Schau', Erbarmer, wie die Deinen

Unter modernden Gebeinen

Ueber ihre Todten weinen.[310]


Thränen fließen,

Weil wir müssen

Zweige dorren sehen,

Die, wie jugendliche Rosen,

Von dem Morgenthau begossen,

Aus dem Garten Gottes sprossen.


Mütter stehen

Stumm und sehen

Auf die kleine Leiche.

Väter schwanken vor dem Kinde,

Wie die halb gewachsne Linde

Vor der Wuth empörter Winde.


Und die Kleinen

Stehn und weinen

Laut um den Gespielen.

In des Todtengräbers Mienen

Schauen sie durch ihre Thränen

Wuth und Grausamkeit in ihnen.


So verwelken

Denn die Nelken

Noch in ihrer Knospe?

Blumen, die wie Sterne stehen,

Müssen, wann die Winde wehen,

Halb emporgeblüht vergehen.


Doch nur stille!

Gottes Wille

Ist allein der beste.

Der die Kinder uns gegeben,

Hat die Macht, zu jenem Leben

Diese Kinder zu erheben.


Seelen werden

Auf der Erden

Größtentheils vergiftet.

Darum nimmt, nach seinem Willen,

Gott die Kinder hin im Stillen,

Seinen Himmel auszufüllen.[311]


Aus dem Bade

Seiner Gnade

Strömt des Christen Leben.

Ist ein Säugling – sprecht, ihr Thoren!

Den die Taufe neugeboren,

Schon im frühen Tod verloren?


Weinet minder

Für die Kinder,

Eltern! spart die Zähren.

Kann es ihren kleinen Seelen

Da, wo keine Zweifel quälen,

Wohl an der Erziehung fehlen?


Sehet, dorten

An den Pforten

Seines Himmels winket,

Jesus winkt mit holden Mienen,

Und zu Lehrern gibt Er ihnen

Engel, die dem Vater dienen.


Darum schweigen

Wir und beugen

Unsern Nacken nieder.

Wann die Erde wird vergehen,

Werden wir in jenen Höhen

Unsre Todten wieder sehen.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 310-312.
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