Wäinämöinens Harfe

Finnisches Volkslied, aus dem Schwedischen übersetzt


Wäinämöinen selbst, der alte,

Rudert' eines Tags auf Sümpfen,

Und auf Seen des andern Tages,

Und am dritten Tag im Meere,

Stehend auf des Hechtes Schultern,

Auf des roten Lachses Finnen.

Er beginnt den Sohn zu fragen:

Stehn auf Reisig oder Stein wir,

Oder auf des Hechtes Schultern,

Oder auf des Lachses Finnen?

Und der Sohn erwidert eilig:

Nicht auf Stein und nicht auf Reisig,

Auf des Hechtes festen Schultern,

Auf des roten Lachses Finnen.

Wäinämöinen selbst, der alte,

Stieß das Schwert ins Meer danieder,

Und zerteilte so den Fisch,

Zog das Haupt in seinen Nachen,

Ließ den Schwanz im Meere liegen.

Jenes blickt er an und wendet's:

Was kann draus der Schmied verfert'gen?

Was kann draus der Schmieder schmieden?

Wäinämöinen selbst, der alte,

Nimmt auf sich des Schmiedes Arbeit,

Macht vom Bein des Hechts die Harfe,[137]

Macht das Kantele von Gräten,

Und von Fischgeripp die Leier.

Und woraus der Harfe Schrauben?

Aus des großen Hechtes Zähnen.

Und woraus der Harfe Saiten?

Aus dem Haupthaar Kalevas.

Zu dem Sohne sprach der Alte:

Hole mir mein Kantele

Unter die gewohnten Finger,

Unter die gewohnten Hände!

Freude strömt nun über Freude,

Auf Gelächter folgt Gelächter,

Während spielet Wäinämöinen

Auf dem Kantele von Gräten,

Auf dem Fischgeripp der Leier.

Keines ward im Hain gefunden,

Sei es auf zwei Flügeln fliegend,

Sei es auf vier Füßen laufend,

Das nicht eilte, zuzuhören,

Während spielte Wäinämöinen

Auf dem Kantele von Gräten,

Auf dem Fischgeripp der Leier.

Selbst der Bär im Walde stieß

Mit der Brust sich gegen Zäune,

Während spielte Wäinämöinen

Auf dem Kantele von Gräten,

Auf dem Fischgeripp der Leier.

Selbst des Waldes alter Vater

Schmückte sich mit rotem Schuhband,

Während spielte Wäinämöinen

Auf dem Kantele von Gräten,

Auf dem Fischgeripp der Leier.

Selbst des Wassers gute Mutter

Zierte sich mit blauen Strümpfen,

Ließ im grünen Gras sich nieder,

Um das Saitenspiel zu hören,

Während spielte Wäinämöinen

Auf dem Kantele von Gräten,

Auf dem Fischgeripp der Leier.

Und dem Wäinämöinen selbst

Flossen Tränen aus den Augen,

Dicker noch als Heidelbeeren,[138]

Größer noch als Schnepfeneier,

Nieder auf den breiten Busen,

Von dem Busen auf die Kniee,

Von den Knieen auf die Füße:

So durchnäßten Wasserperlen

Fünf von seinen Wollenmänteln,

Acht von seinen Zwillichröcken.

Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 137-139,186-187.
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