Todtenfeier am Grabe Elisas

[80] Ein Jüngling.


Still wandeln wir, bei Sternenschein

Zum dämmernden Zypressenhain,

Dir Blumen auf die Gruft zu streun,

Gebrochen mit der Liebe Sehnen,

Beträufelt mit der Liebe Thränen!


Ein Mädchen.


In froher Eintracht giengen wir,

Im goldnen Schein des Abends, hier

Vor wenig Tagen noch mit dir,

Wo wir den ersten Kranz des Maien

Nun deinem stillen Grabe weihen!


Chor der Mädchen.


Du blühtest am Staube nur kurz, aber schön!

Umsonst war der weinenden Zärtlichkeit Flehn!

Nun blühst du in himmlischen Hainen,

Wo Freundschaft und Liebe nicht weinen!


Ein Jüngling.


Auf welcher Sphäre wandelst du?

Flogst du dem stillen Monde zu?

Nur einen Tropfen deiner Ruh',

Verklärte, geuß ins Herz der deinen

Die hier an deinem Grabe weinen!


[81] Ein Mädchen.


Dort blinkt ein Sternchen rein und mild

In Silberwolken halb verhüllt,

Ist da das liebliche Gefild,

Wo wir, bei lindrer Lüfte Wehen,

Einst unsre Freundin wiedersehen?


Chor der Jünglinge.


Es wohnt auf des Sternchens Gefilden voll Licht,

Es wohnt auf dem Monde die Glückliche nicht,

Schon wandelt, hoch über den Sphären,

Sie unter der Seligen Chören!


Ein Jüngling.


O Selma! heitre deinen Thränenblick!

Beginne den Triumphgesang, der Ruh'

Und Himmelstrost in unsre Seelen goß,

In jener bangen, schauervollen Nacht,

Da der geliebte Geist der Erd' entfloh.

Mit jungen Rosen wollen wir indeß

Des Hügels Grün umpflanzen und den Kranz

Der Himmlischen zum Todtenopfer weihn.


Selma.

(Ein Lied mit Harfen.)


Die du zu jenen Höhen,

Wo Himmelslüfte wehen,

Auf Seraphsflügeln schwebst,

Und nach des Lebens Nächten,

Zum Lande der Gerechten

Dein triumphirend Haupt erhebst:


Wir klagen, du Erhöhte,

An dieser ernsten Stäte[82]

Dir stillen Geistes nach,

Wo mit des Dankes Thräne,

In heitrer Engelschöne,

Dein sanftes Aug' im Tode brach.


Im stralenden Gewande

Schwebst du dem Vaterlande

Der guten Seelen zu!

Dort schatten Siegespalmen,

Dort tönen Engelpsalmen,

Dort blüht die Heimath ew'ger Ruh'!


Des Erdentages Schwüle

Wird Abendhauch am Ziele,

Wo Himmelsblumen blühn,

Wo keine Thränen fliessen,

Wo dich Verklärte grüssen,

Drum Heil dir Ueberwinderin!


Beide Chöre.


Freundlich bebt durch düstre Thränenweiden[83]

Auf Elisas Grab

Sternenglanz herab!

Hell're Schimmer, o Geliebte, kleiden

Deinen Geist am lichten Strom der Freuden,

Dessen Fülle keinen Wechsel kennt;

Wo von Freunden Freunde nicht mehr scheiden,

Wo kein Todeskampf mehr, unter Leiden

Welche keine Sprache nennt,

Gleichgeschaffne Seelen trennt!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 80-84.
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