Einladung aufs Land

[81] an Tirsis


im November


Der Westwind fliehet Flur und Weiden,

Die jezt verblühn,

O Tirsis sollen Scherz und Freuden

Mit ihm entfliehn?


Nein der Orcane wildes Blasen

Die um mein Gut

Jezt heulend, ausgeschlossen, rasen,

Hemmt nicht den Muth.


Komm mit mir in der öden Fluren

Bereiftes Gras,

Verfolg mit mir des Wildes Spuren

Im Wald von Glas.


Und hör des Hains Gewölbe schallen,

Wenns Horn erwacht.

Und sieh von hohen Bergen fallen

Die schnelle Jagd.


Denn eil in meine Wohnung wieder

Müd' aus dem Hain,

Und singe mit mir süsse Lieder

Bey frohem Wein.


Und Chloris die durch ihre Saiten

Dirs Herz entwandt,

Soll Lalagens Gesang begleiten

Mit kluger Hand.
[82]

Sieh hin! Die Sterne sind erschienen

Und Luna winkt,

Sie streiten gleichsam, wer von ihnen

Am besten blinkt.


Den Scherz mit Küssen zu verschwistern

Und fern vom Neid,

Den langen Abend zu verflüstern

Ists jetzo Zeit.


Komm! Laß uns unsern Geist erheitern.

Wen Gold ergözt,

Mag in der Fluth am Felsen scheitern,

Der sich entsezt.


Ruhm, Reichthum, Pracht des Hofs Beschwerde

Vom Volk verehrt,

Ist Wahn, und nicht des Herrn der Erde

Des Weisen werth.


Quelle:
Ewald Christian von Kleist: Sämtliche Werke. Stuttgart 1971, S. 81-83.
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