Zu Mozarts Feier

[282] Die nachstehenden Zeilen hatten ein sonderbares Schicksal. Ursprünglich zur Enthüllung des Mozartdenkmals in Salzburg bestimmt, konnten sie daselbst, wegen Kürze der gegönnten Frist, nicht zur rechten Zeit eintreffen. Hierauf sollten sie als milder Beitrag in einem beabsichtigten Wohltätigkeitsalbum erscheinen. Das Album kam aber nicht zustande. Man gibt sie daher, obwohl schon halb außer der Zeit, in diesen Blättern, teils um nicht geradezu bloß für das Schreibpult gearbeitet zu haben, vor allem aber als Zeichen der innigsten Verehrung für den unsterblichen Meister, den größten Künstler deutscher Nation


Glücklich der Mensch, der fremde Größe fühlt

Und sie durch Liebe macht zu seiner eignen.

Denn groß zu sein ist wenigen gegönnt,

Und wer dem fremden Wert die Brust verschließt,

Der lebt in einem öden Selbst allein,

Ein Darbender, wohl etwa ein Gemeiner.

Dem Land auch Heil, das sie gebar, gesäugt

Und aufgezogen an den Mutterbrüsten!

Denn die Natur gibt nur der Größe Geist,

Den Körper bildet an ihr die Umgebung,

In der sie allererst den Tag geschaut,

Der Freunde Schar, der Mitgebornen Kreis,

Die sie mit Blick und Laut zuerst begrüßt,

Mit frommem Sinn bereitet ihre Stätte.

Für Menschen – nur durch Menschen – wird der Mensch.

Darob auch mancher, mit der Hoheit Siegel

Bezeichnet von der Schöpferin Natur,

Noch spät durch irgend eine böse Narbe,

Durch einer Gliedmaß widrig wildes Zucken,

Durch etwas, das nicht schön, ob stumm, verkündet,

Wie karg der Boden war, in dem die Pflanze

Des harten Daseins trübe Nahrung sog.

Drum sind wir stolz, obgleich demütig auch:

Denn hier ward er geboren, den wir feiern!

In dieses schlichten Landes engen Grenzen

Scholl ihm zuerst des Lebens Herold: Ton.

Von diesen Türmen schwoll ein gläubig Läuten

Und lehrt' ihn glauben an die Ahnungen,

Die ohne andre Bürgen als sich selbst,

Und nur bewiesen, weil sie sich gestaltet,[283]

Zur Wirklichkeit verherrlichen den Traum.

Von diesen Bergen zog der Gottesatem,

Gewürzt mit Kräutern und mit Blumenduft,

In seine jugendlich gehobne Brust.

Darum ist er geworden auch wie sie,

Wie diese Berge, seiner Wiege Hüter.

Wohl gibt es höhre, doch sie decket Eis,

Gewaltgere, allein das scheue Leben,

Es findet für den Fußtritt keine Spur

Und flieht mit Schaudern die erhabne Wüste.

Er aber klomm so hoch, als Leben reicht,

Und stieg so tief, als Leben blüht und duftet,

Und so ward ihm der ewig frische Kranz,

Den die Natur ihm wand und mit ihm teilet.

Nicht was der Mensch in seinem Dünkel denkt,

Was Gott verkörpert in der Schöpfung dachte,

War ihm der Leitstern seines edlen Tuns.

Drum hing er fest an deinen ewgen Rätseln,

Du Auge des Gemüts: allfühlend Ohr,

Und was den Weg nicht fand durch diese Pforte,

Schien Menschenwillkür ihm, nicht Gottes Wort,

Und blieb entfernt aus seinem lichten Kreise.

Mit Raffael, dem Maler der Madonnen,

Steht er deshalb, ein gleichgescharter Cherub,

Der Ausdruck und der Hüter wahrer Kunst,

In der der Himmel sich vermählt der Erde.


Wir aber, die wir dieses Fest begehn,

In starrem Erz nachbildend jenen Mann,

Der weich war, wie die Hände einer Mutter,

Laßt uns in gleich verwechselndem Verwirren

Nicht auch des Mannes Sinn und Geist entgehn.

Nennt ihr ihn groß? er war es durch die Grenze.

Was er getan und was er sich versagt,

Wiegt gleich schwer in der Schale seines Ruhms.

Weil nie er mehr gewollt, als Menschen sollen,

Tönt auch ein Muß aus allem, was er schuf,

Und lieber schien er kleiner, als er war,[284]

Als sich zu Ungetümen anzuschwellen.

Das Reich der Kunst ist eine zweite Welt,

Doch wesenhaft und wirklich wie die erste,

Und alles Wirkliche gehorcht dem Maß.


Des seid gedenk, und mahne dieser Tag

Die Zeit, die Größres will und Kleinres nur vermag.

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 282-285.
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