20. In Groß-Neugart der Reußen, 1631

[128] 1634 März-Juli 31.


Indessen daß der Mars bei zweimal sieben Jahren

annoch nicht grausam satt berennt und angefahren

mein wertes Vaterland, vor aller Länder Kron',

itzt ihr verdammter Haß und angepfiffner Hohn, -

er geht noch täglich fort, Gradivus, der Verheerer,

mit seiner bösen Schaar der geizigen Verzehrer,

verderbt, was er nicht mag, äscht Städt' und Dörfer ein

und läßt für seiner Macht nichts ungebrochen sein,

wo anders was noch ganz, - so sei ein wenig deine,

mein Fleming, weil du kanst. Du hast noch dieses Eine

von allem, was du hattst: dich, den dir niemand nimmt;

wiewol noch mancher itzt auch um sich selbsten kömmt,

des Andren mehr als sein'. Ist Alles denn verloren,

so laß es, wo es ist! Es wird noch stets geboren,

das so geht wieder hin. Das blinde Glücke scherzt,

verwechselt Gab' umb Raub. Was ist es, das dich schmerzt?

Fürwar, ein großes Nichts! Du, bist ja noch derselbe,

lebst sichrer als zuvor! Kanst du nicht umb die Elbe

und Mulde sicher sein, so such' ein' ander' Statt,

die mit geringrer Lust auch wenger Sorge hat!

Die Welt ist groß genung. Stürmt Äol dieser Seiten,

so laß dein kluges Schiff ihm nicht entgegen streiten![128]

Fleuch dort naus, tobt er hier! Ein Weiser dient der Zeit,

nimmt sein Verhängnüß auf, wie es die Hand ihm beut,

ist traurend dennoch froh. Ein himmlisches Gemüte

ist irdnen Sachen feind, ermannet sein Geblüte,

schätzt ihm kein Gut nit gleich, ist an sich selbst vergnügt,

in höchster Armut reich. Du auch, machs, wie sichs fügt,

und hülle dich in dich, bis daß sich Sturm und Regen,

nachdem sich Phöbus zeigt, hin wieder werden legen!

Des alten Vatern Not, der frommen Mutter Leid,

der lieben Schwester Angst, so vieler Freunde Neid

setz' itzt ein wenig aus! Tu', was der Himmel heißet!

Nimm der Bequemheit war, eh' sie sich dir entreißet!

Zeuch in die Mitternacht, in das entlegne Land,

das mancher tadelt mehr, als das ihm ist bekant!

Tu', was dir noch vergünnt der Früling deiner Jahre!

Laß sagen, was man will! Erfahre du das Wahre!

Dem traut man, was man sieht. Und hoffe diß darbei,

daß in der Barbarei auch was zu finden sei,

das nicht barbarisch ist! Wolan, ich bin vergnüget.

Es hat mich nicht gereut, daß ich mich her verfüget.

Ich bin wol kommen an, hier, wo Kalisto steht

und Arkas, der mir nun fast auf der Scheitel geht.

Der Belt, der war mir gut, die Düne floß mir linde,

die Narve war mein Freund, ich gieng mit gutem Winde,

wo Wind von Nöten war. Die Volgov seh' ich nun,

die mich umb ihren Rand läßt nach Begehren ruhn.

Wie kan ich doch vorbei? Ich muß die Leute preisen,

die so wie diese sind. Besteht es auf Erweisen,

so hab' ich überrecht. Wer lobet nicht den Man,

der sein' ist, weil er ist? der alles missen kan

und alles haben auch? Er ist darzu geboren,

daß er vergnügt kan sein. Man klaget nichts verloren,

wenn sich der Vater legt: seins gleichen, er, wächst auf,

der wolgezogne Sohn. Erfolgt kein Erbgut drauf,

so ist er selbst sein Teil. Kein Geld gehört zum Leben.

Aus Golde wird kein Blut. Er sieht ihm, was ihm eben,

ein trächtigs Plätzlein aus, das er nicht kaufen muß,

als wie man etwan tut. Da setzt er seinen Fuß,[129]

macht Feld und Gärten draus, fragt nichts nach hohen Bäuen.

Wenn er nur Hitz' und Frost und so was nicht darf scheuen,

so ist er wol versorgt, geht selbst zu Wald' und haut

die längsten Tannen aus, bewohnet, was er baut,

selbst Meister und selbst Wirt. Bekömmt er Lust zum Weibe:

des Nachbars Tochter will, ein Mensch, das schön am Leibe

und gut vom Herzen ist; die, daß er sie mehr liebt,

dem sonst nicht blassen Mund' ein liechters Färblein giebt.

Wer suchte dieses hier? So leben sie in Stille.

Kein Argwohn kömmt in sie. Sein Rat, der ist ihr Wille.

Ehrt ihn, ie mehr er herrscht, und hält gewiß darfür,

ie schärfer er sie hält, ie hulder sei er ihr.

Das glaubt kein Weib bei uns. Indessen ist kein Mangel,

ißt, wenn und was er will, speißt, was ihm fängt die Angel,

was Stall und Nest vermag und was sein Garten trägt.

Sein Trinken führt der Bach; der wilde Forst, der hägt

ihm was auf seinen Tisch. Gelüstet ihm zu jagen,

es steht ihm alles frei, er darf es sicher wagen.

Sein Wind- und Federspiel, das ist sein Flitz und Pfeil,

die er wol selbst gemacht. Ein Messer und ein Beil,

das ist ihm Werkzeugs satt. Sein Vorrat ist auf heute,

auf morgen hat ihn Gott. Er zeucht nicht aus auf Beute,

wie seine Nachbarn tun, die um das schwarze Meer,

die Ton' und Wolge sind. Sein Beutel ist nicht schwer,

doch auch nicht allzu leer. So darf er sich nicht grämen,

wo er den Unterhalt von Kleidern her soll nehmen.

Sein Schaf trägt ihm den Belz, sein Flachs und Hanf stehn wol,

daraus er spinnt und wirkt, so viel er haben soll.

Wird mit Gesundheit alt, weiß wenig von Gebrechen.

Sein Knoblauch ist sein Arzt. Das übermachte Zechen,

die allzu ofte Kost, das zeitigt uns den Tod.

Man lebe, wie man soll, so hat es keine Not!

Verbrechen nährt den Arzt. Bei sechsmal hundert Jahren

hat Rom sich frisch und stark bei Kohle können sparen.

Muß nicht zu Hofe ziehn, darf keine Frone tun,

in strengsten Diensten frei, kan unbesorglich ruhn,

scheut keinen Aconit, streckt sich in seinen Rasen,

läßt um und neben sich sein wenigs Viehlein grasen,[130]

das ihm ist Reichtum satt. Die schöne Nachtigal

fleucht über seinen Kopf, verführt so manchen Schal

und schläft den Müden ein. Da liegt er bis zu morgen,

ihn plagt kein schwerer Traum, ist weit von allen Sorgen,

die uns den Schlaf zerreißt. Kein Dieb bricht bei ihm ein.

Frau Armut läßt ihn wol für diesen sicher sein.

Gott muß ihm gütig sein. Er tut zu Mitternachte

in Kirchen sein Gebet'. Er fastet mit Bedachte.

Frommsein ist seine Kunst. Von mehrem weiß er nicht.

Wenn er verstehen mag nur, was sein Nachbar spricht,

so meint er, hab' er gnung. Und was ist ihm mehr nütze?

Kein Mensch wird mehr ein Mensch mit seiner Kunst und Witze.

So gibts vor Gott auch nichts. Wer den in Einfalt ehrt,

nur ein rein Herze hat, der ist recht hochgelehrt.

Es ist ein seltsams Tun, daß wir uns so bemühen

um Ehre, Geld und Kunst, durch ferne Länder ziehen,

Frost, Hitze, Hunger, Durst, Angst, Mühe stehen aus:

der Man kömmt, weil er lebt, kaum übers dritte Haus.

Was bin ich mehr als er? Ich will dirs besser weisen,

wohin du sichrer solst und mit mehr Nutzen reisen.

Geh, sieh dich selbsten durch! Du selbst bist dir die Welt!

Verstehst du dich aus dir, so hast dus wol bestellt.

Drei-, viermal mehr als wol dem Volke, das so lebet!

Es kan nicht elend sein, weil nichts denn Ruhe schwebet

um seine Häuser her. Die treue Sicherheit

verwacht sie Nacht und Tag. Des Glückes Troß, der Neid,

kömmt nicht in dieses Land. Zu des Saturnus Zeiten,

dem diß Volk noch kömmt zu und was ihm liegt zur Seiten,

ward ebenso gelebt. Da war kein Mein und Dein,

kein Vorteil, kein Betrug, der sich hernach schlich' ein.

Krieg kömmt von Kriegen her. Hast du dich hier verhalten,

o Einfalt, heilge Zier, von erster Zeit der Alten,

bis auf die Hefen uns? Ist hier dasselbe Land,

da Ehr' und Redlichkeit von uns sich hingewandt?
[131]

Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 128-132.
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