Die Ballade vom Tod und dem Zecher

[417] (Herrn Fritz Neff zugeeignet.)


Stell die Uhr ab, Freund Hein,

Schenk zum letzten Mal ein

Meinen gläsenen Becher

Mit tiefrotem Wein!


Laß dein Sensengeschwank,

Setz dich her auf die Bank,

Bin ein friedlicher Zecher

Und trinke nicht Zank.


Gelt, der Wein da ist gut?

Burgunderisch Blut!

Molk oft mir im Keller

Aus dem Fasse Mut.
[417]

Warum trinkst du denn nicht?

O du kalkig Gesicht!

Trink aus doch, trink schneller,

Langweiliger Wicht!


Herrgott, bist du fad!

Es ist tief jammerschad,

Daß der Tod so'n langweiliger

Zechkamerad!


Hätt es nimmer gedacht,

Daß der Tod bei der Nacht

Ein Gesicht wie ein heiliger

Marabu macht.


Gestorben muß sein,

Doch ich sehe nicht ein,

Warum so steifleinene

Zeremonein.


Nur näher gerückt!

Nur die Glatze gebückt!

Sei die hell elfenbeinene

Rosengeschmückt!


Na, was fehlt noch? Vielleicht,

Daß ein Fiedelmann geigt?

Los, Ländler und Lieder!

Der Sensenmann schweigt.
[418]

Wie, noch immer verstimmt?

Tief scheinst du ergrimmt!

Doch die Lust kommt dem wieder,

Der ein Mädel sich nimmt.


Komm herein, Leonor',

Tanz dem Tode was vor,

Indessen Belinde

Ihn kraue am Ohr.


Und es kommen zu Zwein

Die Mädchen herein,

Und es singen gelinde

Geig und Schalmein.


Ist ein lustiger Takt,

Und die Mädchen sind nackt,

Und den Tod hat der Zecher

Am Arme gepackt.


Da eist ihm das Blut,

Und es schrickt ihm der Mut,

Und er greift nach dem Becher,

Im Becher ist Blut.


Ist Blut, – aber blaß,

Ein eisschaurig Naß.

Trink, trink doch, du Frecher,

Der Tod schänkt dir das!
[419]

Will nit lumpen sich lân,

Auch zum Tanz tritt er an,

Hat auch Fräulein zweie

Geladen zum Plan.


Sind auch splitternackt,

Tanzen auch nach dem Takt,

Und des Todes Schalmeie

Die flötet vertrackt.


Ist ein Menschengebein,

Gedrechselt fein,

Ihre Tanzlieder klingen

Wie Fegfeuerschrein.


Und es schrillt die Schalmei,

Und es packen die Zwei

Und drehen und schwingen

Im Tanze ihn frei.


Leeräugig und kalt

Und mißgestalt

Sind die Tänzerinnen

Und moderalt.


In grinsender Ruh,

Turulu, Turulu,

Spielt der Sensenmann selber

Den Hopser dazu,
[420]

Bis der Atem vergeht,

Und das Herz stille steht,

Und die Seele dem Tänzer

Zur Hölle weht.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 417-421.
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