Entsagung.

Es war ein Abend wunderschön,

Wie selten nur zu erleben:

Ich sah einen Jüngling spazieren gehn,

Sein Mädchen ging daneben.


Die Natur war festlich ausgeschmückt

Wie mit Claude Lorrain'schem Pinsel;

Das Rauschen des Tages wurde erstickt

Im schmachtenden Abendgewinsel


Und Schwäne wiegten im Weiher sich,

Die Vögel sangen Auberisch;

Beim Jüngling regte es freier sich,

Das Mädchen wurde fast närrisch.[1]


Sie zupfte am Busen hin und her,

Er schritt ganz miserabel;

Da kam der liebe Mond einher

Und schien ihnen auf den Schnabel.


Sie sprach von der Seelenvereinigung,

Er wurde ganz ätherisch;

Das Mädchen hatt' ihre Reinigung,

Der Jüngling war venerisch.


Anonym.[2]

Quelle:
Nuditäten oder Fantasien auf der Venus-Geige. Padua [o. J.], S. 1-3.
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